Offener Brief zur Situation in den Notaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge

Offener Brief zur Situation in den Flüchtlingsunterkünften

 

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Kraft,

sehr geehrter Herr Minister Jäger,

sehr geehrter Herr Regierungspräsident Dr. Bollermann,

sehr geehrte Fraktionsmitglieder der Landtagsfraktionen von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen,

in unserem Kreis, dem Kreis Siegen-Wittgenstein, liegen zwei Notunterkünfte zur Erstaufnahme von Flüchtlingen, Burbach und Bad Berleburg. Diese „beherbergen“ aktuell ca. 1.150 Menschen, dass bedeutet, dass fast 20% der Erstaufnahmeplätze in NRW bei uns verortet sind. Die Vorkommnisse in den hiesigen Notunterkünften in Burbach wie auch in Bad Berleburg, die Ende September 2014 an die Öffentlichkeit gedrungen sind, machen uns fassungslos. Sollte es zutreffen, dass der Bezirksregierung und/oder dem Innenministerium schon vorher Informationen zu den Missständen vorgelegen haben, ohne dass daraus entsprechende Konsequenzen gezogen wurden, wäre das zusätzlich ein Skandal. Ein Skandal, welcher -nimmt man die Unterkunft in Essen hinzu- mehr als ein Viertel alles Flüchtlinge in Erstaufnahmeunterkünften in NRW betroffen hat. Uns irritiert,  dass erst die schlimmen Vorkommnisse ein 7-Punkte-Programm nach sich ziehen, in welchem Maßnahmen und Standards formuliert werden, die unseres Erachtens von Beginn an eine Selbstverständlichkeit hätten sein müssen (keine Subunternehmen im Sicherheitsdienst; Personal mit Sachkundeprüfung nach § 34 GewO; tariflicher Mindestlohn; polizeiliches Führungszeugnis für Personal; Bekundung, dass keine relevanten Vorstrafen vorliegen; Zuverlässigkeitsbescheinigung des örtlichen Ordnungsamtes; Sicherheitsunternehmen, die nachweislich Mitglied im BDSW oder vergleichbarem Arbeitgeberverband sind).

Wir sind der Meinung, dass die nun eingeleiteten Maßnahmen bei weitem nicht ausreichen um den Herausforderungen, vor denen die Flüchtlinge und die Mitarbeitenden in den Notunterkünften stehen, gerecht zu werden. ´!

Bei einem Besuch in der ehemaligen Kaserne in Burbach vor einigen Wochen haben wir uns einen Eindruck davon verschafft, wie umfangreich das organisatorische Leistungsspektrum ist, welches von dem Betreiber bzw. den Mitarbeitenden zu bewältigen ist. Die Sorge für Sicherheit und Ordnung, bei dem nun die eklatanten Mängel öffentlich geworden sind, ist ein wichtiger und anspruchsvoller Aufgabenbereich. Der Betreiberwechsel in Burbach wird sicher als eine vertrauensbildende Maßnahme empfunden. Was unseres Erachtens aber unabdingbar zur Bewältigung der vielfältigen Probleme, die entstehen, wenn so viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturen auf so engem Raum miteinander auskommen müssen, ist die Finanzierung einer qualifizierten sozialen Begleitung, Betreuung und Beratung. Dazu ist eine Schulung des Personals in Deeskalation,  Gewaltprävention und interkulturellen Kompetenzen unerlässlich. Bislang finden sich aber im Personaltableau kaum entsprechend qualifizierte Mitarbeitende.

Daneben fordern wir eine unabhängige Beschwerdestelle für Flüchtlinge in den Landesaufnahmeeinrichtungen einzurichten,  die Asylsuchende bei Übergriffen kontaktieren und hilfesuchend zu Rate ziehen können.

Angekündigt wurde inzwischen  eine  ‚Task Force’, die die Einrichtungen kontrollieren und  dafür sorgen soll, dass in Landesunterkünften Standards eingehalten werden. Wir fragen uns allerdings, von welchen „Standards“ hier genau die Rede ist. Uns ist kein Konzept bekannt, das die Unterbringung von Flüchtlingen verbindlich regelt und Qualitätsstandards für die Aufnahmeeinrichtungen festlegt. Auch ob in den Verträgen zwischen dem Land bzw. der Bezirksregierung und den Betreibern dafür irgendwelche Standards benannt sind, ist uns nicht bekannt. Wenn es Standards gibt, bitten wir darum, diese unverzüglich zu veröffentlichen.

Nicht mehr und besseres Wachpersonal ist der Ruf der laut werden muss, sondern es werden mehr qualifizierte Pädagoginnen und Pädagogen in Erstaufnahmeeinrichtungen gebraucht!

Dies gilt auch für die weitere Betreuung von Menschen in Asylverfahren. Deshalb fordern wir, dass Standards für die soziale Begleitung, Betreuung und Beratung mit den Betreibern der Einrichtungen vertraglich festgelegt werden und dafür zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt werden. Es sollte selbstverständlich darauf geachtet werden, dass die dort tätigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter Kenntnisse im Umgang mit traumatisierten Kindern und Erwachsenen haben müssen. Die Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen sollte im Hinblick auf die soziale Betreuung ebenso kontrolliert werden, wie die Einhaltung der Sicherheitsstandards.

Auch schließen wir uns der schon mehrfach geäußerten Forderung an, die Belegung in den Einrichtungen drastisch zu reduzieren und insbesondere eine Überbelegung auszuschließen.  Es gehört nicht viel Phantasie dazu, dass das Konfliktpotential um so mehr außer Kontrolle zu geraten droht, je mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft mit je eigenem Problemkontext und völlig ungesicherter Zukunftsperspektive  zusammen in unwirtlichen Unterkünften ausharren müssen.

Neben der Verkleinerung der einzelnen Einrichtungen ist es im Weiteren aus unserer Sicht unabdingbar, die Bearbeitung der Einzelfälle in Bezug auf Weiterverteilung in die Kommunen zu beschleunigen.

Notaufnahmeeinrichtungen müssen endlich reale Verbleibe von unter 7 Tagen aufweisen. Längerfristige Aufenthalte sind nicht hinnehmbar!

Auch müssen die Asylentscheide unter Beachtung der qualitativen Normen zügiger erfolgen. Perspektivisch ist ein Ausbau der Zentren für Traumapatienten in NRW ebenso zu initiieren, da immer mehr der aktuell ankommenden Flüchtlingen unter akuten Anzeichen solcher Erkrankungen leiden. Wir sind uns darüber im Klaren, dass ohne größere finanzielle Unterstützung des Landes keine der oben genannten Missstände zu beheben ist. Wir sehen die Landesregierung in einer erheblichen Bringschuld gegenüber den Flüchtlingen und den Kommunen. Dies gilt für fachliche, personelle wie auch finanzielle Unterstützung vor Ort.

Mit freundlichen Grüßen                                          
gez. Günter Jochum                                                      gez.  Peter Neuhaus
Fraktionssprecher                                                       Sprecher Kreisverband
Kreistagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen                     Kreisverband Bündnis 90 / Die Grünen

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