BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

KT-Fraktion Siegen-Wittgenstein

Klimanotstand in Siegen-Wittgenstein

Sehr geehrter Herr Landrat Müller,

die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen bittet Sie folgenden Antrag in die Tagesordnung des Kreistages am 29. September 2019 aufzunehmen:

Der Kreistag beschließt:

Der Kreis Siegen-Wittgenstein

a) erkennt die Notwendigkeit an, den schwerwiegenden Folgen des Klimawandels mit höchster Priorität zu begegnen.

b) bekennt sich zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 und den Feststellungen des Weltklimarats IPCC in seinem Sonderbericht von 2018 „1,5° globale Erwärmung“.

c) erkennt an, dass die bisher beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen und erst der Anfang einer zwingend erforderlichen Transformation sind, die schnellstmöglich über technische, Kultur- und Verhaltensänderungen zu einer erheblichen Reduktion der Treibhausgasemission führt. Erhebliche weitere Anstrengungen zur Unterstützung dieser Transformation sind erforderlich um das Ziel „Klima-neutraler Kreis 2040“ zu erreichen. Um die globale Erwärmung auf maximal 1,5° zu begrenzen, sind sofortige, weitreichende und beispiellose Veränderungen in allen Bereich der Gesellschaft erforderlich.

d) wird die Auswirkungen auf das Klima sowie die ökologische, gesellschaftliche und ökonomische Nachhaltigkeit bei jeglichen davon betroffenen Entscheidungen berücksichtigen und jene Entscheidungen prioritär behandeln, welche den Klimawandel oder dessen Folgen abschwächen. Hierzu sind bei sämtlichen Vorlagen für politische Beschlussfassungen in Zusammenarbeit mit dem/der Klimabeauftragten die Auswirkungen auf den Klimaschutz darzulegen und im negativen Fall Alternativen aufzuzeigen;

e) fordert von der Bundesregierung die Einführung eines Klimaschutzgesetzes, dessen Maßnahmen an den Forderungen des Pariser Abkommens ausgerichtet sind. Das Gesetz hat sicherzustellen, dass die bereits vereinbarten Reduktionsziele eingehalten werden und das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland schnellst möglich erreicht wird. Die Städte und Gemeinden sind bei ihren Bemühungen zur Erreichung der Klimaneutralität mit Mitteln des Bundes finanziell zu unterstützen;

f) konkretisiert die im Klimaschutzkonzept des Kreises Siegen-Wittgenstein aufgeführten Maßnahmen und setzt diese sofort um, sowohl zur Verbesserung des Mikroklimas wie zum Umgang mit zunehmenden Extremwetterereignissen;

g) verstärkt Im Rahmen des Klimaschutzkonzeptes seine Öffentlichkeitsarbeit um die Einwohner*innen über die globale Erwärmung mit ihren existentiellen Folgen zu informieren. Die Einwohner*innen werden über ihre persönlichen Möglichkeiten, Informationsquellen, Förderprogramme etc. umfassend informiert und bei der Umsetzung eigener Maßnahmen beratend unterstützt;

h) wird die Rolle des Klimaschutzes als eine Querschnittsaufgabe wahrnehmen und entsprechende Strukturen in der Verwaltung schaffen. Den/die Klimaschutzbeauftragte/n gilt es zur Stabsstelle aufzuwerten und entsprechend mit Personal und Sachmitteln auszustatten;

i) erstellt einen Entwicklungsplan zur Erreichung einer klimaneutralen Energienutzung von kreiseigenen Immobilien;

j) identifiziert Sofortmaßnahmen die sich aus dem bereits erstellten Mobilitätskonzept ergeben und setzt diese sofort um;

k) wird umfassend über die Maßnahmen, welche in Siegen-Wittgenstein gegen den Klimawandel ergriffen werden, informieren. Dem Kreistag wird der Landrat/die Verwaltung halbjährlich öffentlich über Fortschritte wie Schwierigkeiten bei der Reduktion der Emissionen Bericht erstatten;

l) fordert auch die Beteiligungen und Gremien des Kreises (z.B. KSG, KSW, ZWS) dazu auf, sich verstärkt mit ihren Möglichkeiten im Klimaschutz auseinanderzusetzen und dem Kreistag dazu halbjährlich zu berichten.

m) unterstützt die Resolution zur Ausrufung des Klimanotstandes (Climate Emergency): [Die Begriffe “Klimanotstand” resp. “Climate Emergency” sind symbolisch zu verstehen und sollen keine juristische Grundlage für die Ableitung von Notstandsmaßnahmen sein.]

Begründung:

„Der Mensch hat bereits einen Klimawandel mit irreversiblen Folgen verursacht, welche weltweit zu spüren sind. Die globalen Temperaturen sind gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter um 1 Grad Celsius gestiegen, weil die CO2-Konzentration in der Atmosphäre von 280 ppm auf über 400 ppm angestiegen ist. Um eine unkontrollierbare globale Erwärmung mit nicht absehbaren Folgen zu verhindern, ist es unerlässlich, die Treibhausgasemissionen schnellstmöglich massiv zu reduzieren.

Bereits 1,5 °C Erderwärmung führen unter anderem dazu, dass der steigende Meeresspiegel riesige Küstengebiete unbewohnbar macht. Die Weltbank schätzt, dass in den kommenden 30 Jahren die Zahl der Klimaflüchtlinge auf über 140 Millionen Menschen ansteigen wird. Folgen des Klimawandels haben erheblichen Einfluss auf die Gesundheit, die Lebensqualität und die Wirtschaft. Selbst in Nordrhein-Westfalen spüren wir bereits die ersten Auswirkungen der beginnenden Veränderungen. Trockenheit und Starkregen wechseln in unvorhersehbaren Perioden ab, ganze Waldgebiete sind durch ungewohnte Temperaturen und vermehrten Schädlingsbefall in ihrer Existenz bedroht. Prognosen darüber, was Land- und Forstwirte zukünftig noch sicher anbauen können, werden immer schwieriger. Die Trockenheit des letzten Sommers hat unsere Energieversorgung aufgrund von fehlenden Schifffahrtswegen und nicht mehr ausreichendem Kühlwasser für Kraftwerke vor ernsthafte Herausforderungen gestellt.

Der Klimawandel ist somit nicht bloß ein Klimaproblem - er ist ein WirtschaftStromerzeugung aus Erneuerbaren Energiens-, Sicherheits-, Tierschutz-, Friedens- und soziales Problem. 

Es kann und soll nicht erwartet werden, dass die Lösung dieses Problems alleine durch Eigenverantwortung und von Einzelpersonen erreicht wird. Es braucht jetzt auf kommunaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene zielführende Maßnahmen, um dieser drohenden Katastrophe entgegenzuwirken. Die aktuellen Pläne und Maßnahmen reichen nicht aus, um die Erwärmung dauerhaft auf die angestrebten 1,5°C zu begrenzen. Deshalb ist es jetzt wichtiger denn je, schnell zu handeln!“ 

Restliches CO2-Budget Deutschland

Um die Erderwärmung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf 1.5 Grad zu begrenzen, darf nur noch eine ganz bestimmte Menge CO2 in die Atmosphäre gelangen. Rechnet man auf diese Menge drauf, was wir bisher in die Luft gepustet haben, dann ergibt sich daraus ein Gesamtbudget für die Menschheit. Man kann dann auch ausrechnen, wie viel welches Land sich aus diesem Budget „genommen“ hat. Im Fall von Deutschland stellt man fest, dass wir uns relativ zur Bevölkerung ziemlich ausgiebig am Budget bedient haben – ein Vielfaches mehr als der Rest der Welt.

Das Zeitfenster, das noch verbleibt, um die Auswirkungen kontrollierbar zu halten, schließt sich ohne ausreichende Gegenmaßnahmen innerhalb der nächsten 10 Jahre. Vor allem würde spätestens dann ein nicht aufzuhaltender Teufelskreis starten: Durch die hohen Temperaturen würde „automatisch“ mehr CO2 freigesetzt werden und der Treibhauseffekt würde sich verselbstständigen und alles noch viel schlimmer machen. Es würde also nicht nur bei den 2°C bleiben. Regierungsziele reichen nicht für Parisabkommen

Es ist daher zwingend erforderlich, dass auch wir jetzt unseren Beitrag leisten, um die Katastrophe noch aufzuhalten. Weltweit haben hunderte Kommunen wie Los Angeles, Vancouver, London und Basel und mittlerweile ganze Staaten, wie Irland und Großbritannien den Ernst der Lage erkannt und den Klimanotstand ausgerufen. Bundesweit sind dutzende Städte ihrem Beispiel gefolgt. Es ist auch hier höchste Zeit zu handeln.

Trotz weltweiter Bemühungen über Jahrzehnte, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, nimmt deren Konzentration Jahr um Jahr zu. Alle Maßnahmen, dem Klimawandel entgegen zu wirken, haben bisher nicht den erwarteten Erfolg gezeigt. Die Wissenschaft prognostiziert langfristig verheerende Folgen für die menschliche Zivilisation und die Natur auf dem Planeten Erde. Notwendiges Energiewendetempo laut Prof. Dr. Volker Quaschning

Es ist dringend erforderlich, dem jetzt auf allen Ebenen von Gesellschaft und Politik entgegenzuwirken.

Der Kreis Siegen-Wittgenstein engagiert sich seit Jahren für den Klimaschutz. Dennoch ist der Erfolg gemessen an den Erfordernissen eher gering (siehe z.B. nachfolgende Grafik „Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien“).

Vor dem Hintergrund der immer stärker spürbaren Auswirkungen auch bei uns z.B. durch Hitzewellen, Waldsterben, Insektensterben und vielem anderen mehr, ist es notwendig, die Anstrengungen massiv zu erhöhen und zudem die ohnehin geplanten Maßnahmen zu beschleunigen.

Wir wollen auch in Siegen-Wittgenstein ein Signal setzten.

Klimaschutz kostet - kein Klimaschutz kostet die Zukunft

Fazit des dritten Weltklimaberichtes der UNO: Jetzt ist genug geredet, jetzt muss endlich gehandelt werden.

Quellenangaben zu den Graphiken:

1. Weltweites Carbon-Budget für 1,5 Grad Ziel: Mercator Research Center / IPCC, GHG-Data

2. Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien: LANUV-Energieatlas NRW

3. Restliches CO2-Budget Deutschland: Prof. Stefan Rahmsdorf, Creative Commons BY-SA 4.0

4. Regierungsziel reichen nicht für Paris-Abkommen: Prof. Dr. Volker Quaschning

5. Notwendiges Energiewendetempo laut Prof. Dr. Volker Quaschning: Prof. Dr. Volker Quaschning

Das Ergebnis der Beratungen im Kreistag:

Aus der Niederschrift der Öffentlichen Sitzung des Kreistages vom 27.09.2019:

Der Kreistag hat beschlossen:

  • Der Kreis Siegen-Wittgenstein erkennt die Notwendigkeit an, den schwerwiegenden Folgen des Klimawandels aktiv mit angemessenen Maßnahmen zu begegnen.

  • Der Kreis teilt die Ansicht des „Weltklimarates“ (IPCC), dass für die Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5° weitreichende Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft erforderlich sind.

  • Der Kreis wird daher weiterhin aktiv Maßnahmen in allen klimarelevanten Sektoren der originären Zuständigkeiten des Kreises (Wirtschaft, Verkehr, private Haushalte und öffentliche Verwaltung) ergreifen und zugleich Vorbereitungen für diejenigen Folgen des Klimawandels treffen, die durch Klimaschutzmaßnahmen nicht mehr abzuwenden sind.

  • Um den wachsenden Anforderungen in diesem Bereich gerecht zu werden sowie Klimaschutz und Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe dauerhaft zu institutionalisieren, wird die im Haushaltsentwurf für das Jahr 2020 bereits vorgesehene „Koordinationsstelle Klima, Energie und nachhaltige Regionalentwicklung“ eingerichtet.

  • Zudem wird der Kreis Siegen-Wittgenstein die Auswirkungen auf das Klima bei jeglichen davon betroffenen Entscheidungen berücksichtigen.

  • Zugleich appelliert der Kreis an Landes-und Bundesregierung, dem Staatsziel des Erhalts der natürlichen Lebensgrundlagen aus Art. 20a GG gerecht zu werden und die Kommunen und Kreise durch eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung dauerhaft dazu zu befähigen, der großen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe Klimawandel auch mittel-und langfristig angemessen begegnen zu können.



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